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Trauma und Dissoziation – Wie Verdrängtes unser Leben beeinflusst

In diesem Text werde ich dir meine gegenwärtige Auffassung von dem beschreiben, was in unserem Geist geschieht, wenn wir belastenden Erlebnissen ausgesetzt sind und welche Folgen das haben kann. Ganz knapp gesagt geht es darum, wie belastende Ereignisse dazu führen, dass wir in unserem Leben im Hier und Jetzt leiden.

Und um das, was Leid hervorruft, geht es in diesem Artikel.

Leid – Was ist das eigentlich?

Diese Frage ist absolut wesentlich. Und ich möchte hier Leid in 2 Aspekte unterteilen. Da ist zum einen das ganz direkte Leid, welches in der gegenwärtigen Erfahrung seinen Ursprung hat. Ein Mensch stirbt und wir trauern. Wir sehen etwas Schreckliches und sind entsetzt. Wir haben uns weh getan und spüren den Schmerz. Soweit so normal und „gut“ im Sinne dessen, dass es ein sinnvoller und relevanter Teil des Lebens ist.
Dann gibt es aber eine andere Form von Leid. Sie legt sich wie eine 2te Schicht über die Wirklichkeit und sorgt dafür, dass harmlose Situationen als katastrophal wahrgenommen werden, süße Hunde bei einigen Menschen phobische Reaktionen auslösen, dass sich Gefühle von Wertlosigkeit, Hilflosigkeit oder Einsamkeit im Leben breit machen und Ängste und Depressionen den Alltag beherrschen. Solches Leid hat seinen Ursprung nicht im unmittelbar erlebten, sondern verzerrt das, was in der Gegenwart geschieht und macht sie leidvoll.

Doch woher kommt dieses Leiden?

Eine recht einleuchtende Antwort auf diese Frage gibt der sogenannte Konstruktivismus. Der Konstruktivismus bildet als Erkenntnistheorie die Basis mehrerer therapeutischer Methoden, unter anderem der systemischen Therapie, dem NLP und der Hypnotherapie.

Konstruktivismus – das Leid (aber auch die coolen Sachen) entsteht in uns

Die Grundidee des Konstruktivismus ist recht simpel uns lässt sich folgendermaßen auf den Punkt bringen: Es gibt die Welt „da draußen“ und diese Welt da draußen bilden wir mit Hilfe unserer fünf Sinne in uns ab. Dieses Abbild ist eine Vereinfachung von dem da draußen, bedingt dadurch, dass wir nun mal nur 5 Sinne haben (aber z.B. keinen für Magnetismus, den Infrarotbereich, den Ultraschall etc.). Um uns in dieser Welt zu bewegen schaffen wir nun Regeln und Deutungen für unsere Wahrnehmungen, so dass wir in der Welt nicht auf alle Gegebenheiten von neuem reagieren müssen. Wir spulen einfach unsere erlernten Deutungen ab und reduzieren so die Komplexität, mit der wir uns arrangieren müssen. Ziemlich smarte Sache.

Blöderweise können wir auch nicht so hilfreiche Dinge lernen. Gerade in der Kindheit, der Zeit in der wir die grundlegenden Deutungen für diese Welt lernen, sind wir unserer Umwelt ziemlich ausgesetzt. Und wenn wir als 4tes von 4 Kindern geboren wurden, um den vor uns gestorbenen Bruder zu ersetzen geht es gar nicht anders, als das wir lernen: „Es geht nicht um mich“, „Wenn ich nicht so bin, wie man es von mir erwartet, will man mich nicht“, „Ich bin nicht gemeint“ usw.

Das ist nun ein drastisches Beispiel, aber ich denke es ist klar, auf welch grundlegender Ebene die Erfahrung, die hier gemacht wurde, wirkt und wie entscheidend sie die Konstruktion der Wirklichkeit beeinflusst. So eine Prägung wird ihren Einfluss auf so ziemlich alle Lebensbereiche haben.

Zum Glück lernen wir auch eine Menge hilfreiche Sachen. Und der Fakt, dass du diesen Text hier gerade liest, ist Beweis dafür, dass der überwiegende Teil deiner Realitätskonstruktion gut funktioniert. Aber wenn wir ein Problem haben, mit etwas nicht weiterkommen, in einer Krise sind, dann liegt das unter anderem daran, dass unsere Wirklichkeitskonstruktion gerade nicht hilfreich ist.
In unserem Alltag geschieht dies in der Regel dadurch, dass bestimmte Umstände in unserer Umgebung, alte, nicht hilfreiche Deutungen in uns auslösen. Ein bevormundender Chef, ein Partner, der sich anders verhält, als wir es gerne hätten, das neue herausfordernde Projekt, ein Vortrag, den wir halten sollen, das erste Kind, der 40ste Geburtstag, ein Hund, … – das alles könnte ein Auslöser sein, für nicht hilfreiche Deutungen.

Der mittlerweile geflügelte Begriff für dieses Phänomen ist „Trigger“.

Trigger – Inflationär genutzt, aber was ist das eigentlich?

Ein Trigger ist ein Auslöser. „Getriggert“ sein ist also eigentlich die falsche Bezeichnung, da sie sich auf den Auslöser bezieht und gar nicht auf das was ausgelöst wird.

Was wird also ausgelöst? In der Regel geht es um schlechte und unangenehme Gefühle. Angst, Trauer, Wut, Ohnmacht usw. Und wenn das was in unserem Leben gerade passiert, in einem Missverhältnis zu dem steht, was wir emotional erleben, dann ist dieser Zustand höchstwahrscheinlich einer, der in unserer Vergangenheit geprägt wurde.
So kann es zum Beispiel sein, dass ein Freund eine geplante Verabredung absagt und auf einmal fühlen wir uns minderwertig. Oder wir müssen ein Vortrag halten und haben Angst, dass wir bloßgestellt werden.
Ein Trigger ist also ein Auslöser im Hier und jetzt, der in uns Gefühle aus der Vergangenheit aktiviert.

Und das hat Folgen! Je nachdem wie heftig diese Gefühle aus der Vergangenheit sind, können sie uns das Leben zur Hölle machen. Einsamkeit, Angst, Panik, Ohnmacht, Hilflosigkeit, Scham und Schuld um hier nur ein paar zu nennen. Damit wir diesen Gefühlen nicht hilflos ausgeliefert sind, entwickeln wir Strategien um mit ihnen umzugehen, bzw. sie zu vermeiden. Diese Strategien sind so vielfältig wie auch Menschen es sind. Aber nur um ein paar zu nennen: viel Arbeiten, alles durchdenken, kontrollieren, Macht ausüben, Drogen, Sex, von Gefühlen abschneiden, Flucht in virtuelle Realitäten, Flucht in innere Phantasiewelten, … die Liste könnte unendlich weitergehen.
Diese Strategien müssen intensiver ausgeübt werden, je unaushaltbarer die dahinterliegenden Gefühle sind. Das kann unter anderem zu der paradoxen Situation führen, dass die dahinter liegenden Gefühle gar nicht bewusst sind. Aber das führt uns zu einem anderen Thema. Lasst uns erst mal bei dem bleiben, was da in uns ausgelöst wird.

„Big T Trauma“ und „small t Trauma“ 

Nicht verarbeitete Ereignisse hinterlassen Spuren in uns.
Ein schöner Sommertag. Wir frühstücken, gehen in den Park, treffen uns mit Freunden, verbringen noch einen schönen Abend – nichts Besonderes. Dieser Tag wird in uns ganz normal verarbeitet und gesellt sich zu den anderen Tagen unserer Vergangenheit.

Ganz anders sieht es aus, wenn wir mit Situationen konfrontiert sind, die unsere Fähigkeiten mit ihnen umzugehen massiv übersteigen.
Dazu gehören die typischen sogenannten „big T-Trauma“: Katastrophen, Krieg, Folter, Vergewaltigung usw.
Aber auch das was „small t-Trauma“ oder Entwicklungstrauma genannt wird: Abwesende Elternteile, emotionale Vernachlässigung in der Kindheit, Mobbing, Liebesentzug, Parentifizierung, emotionaler Missbrauch, Trennung der Eltern, usw.
All diesen Situationen, „small t“ und „big T“ ist gemein, dass sie zum jeweiligen Zeitpunkt unsere Fähigkeiten übersteigen mit ihnen angemessen umgehen zu können.

Kleiner Hinweis: Der Begriff Trauma (lat. für Wunde) bezieht sich nicht auf das Ereignis selbst, sondern darauf, was ein Ereignis bei jemandem für Folgen hat. Das gleiche Ereignis kann bei einem Menschen traumatische Folgen haben und damit als Trauma gelten und bei einer anderen Person nicht. Was bei wem passiert hat unter anderem damit zu tun, was für Möglichkeiten jemand innerlich und äußerlich hat um mit so einem Ereignis umzugehen.

Und noch etwas: Die allermeisten Menschen haben etwas von dem gerade Aufgezählten erlebt. Das heißt aber nicht, dass jeder, der so etwas erlebt hat, eine voll ausgewachsene Traumafolgestörung (PTBS oder K-PTBS) entwickelt. Spuren in der Persönlichkeit können solche Erfahrungen trotzdem hinterlassen. Zwischen „gar keine psychischen Folgen“ und dem Vollbild einer PTBS gibt es eine Menge Graubereiche.

Dissoziation – ein Überlebenshelfer in Hochstressphasen

Wenn jemand etwas erlebt, was seine Möglichkeiten damit umzugehen übersteigt, wird dieses Ereignis bzw. dieser Aspekt von seinem Leben nicht auf die normale Art verarbeitet.
Lasst uns kurz überlegen: Wenn du keine Möglichkeit hast, mit dem umzugehen, was du erlebst… Wenn dir in deinem Erleben keine Möglichkeit zu Verfügung steht, etwas an den Umständen zu ändern… Dann bist du hilflos, ausgeliefert, ohnmächtig.

Um mit diesen Umständen, die uns hilflos fühlen lassen, zurecht zu kommen, tritt ein Mechanismus ein, der Dissoziation genannt wird. Dissoziation sorgt dafür, dass unangenehme Gefühle und die mit ihnen verbundenen Umstände vom Bewusstsein ferngehalten werden. Eine ziemlich smarte Sache! Dissoziation macht uns in Hochstresssituationen überlebensfähig, indem es unser Alltagsbewusstsein vor den Gefühlen, Erinnerungen und dem was wir erleben schützt.  Als Beispiel: Ein Kind was regelmäßig von seinen Eltern geschlagen wird. Wie sollte es mit seiner Hilflosigkeit und seinem Ausgeliefert umgehen, wenn es sich dem voll bewusst wäre? Dissoziation erlaubt es uns, auch in ausweglosen Situationen zu funktionieren und zu einem gewissen Teil handlungsfähig zu bleiben, in dem diese Dinge aus unserem Bewusstsein rausgehalten werden.

An dieser Stelle vielleicht noch eine kurze Erläuterung zu meiner Definition von Dissoziation. Ich benutze den Begriff hier sehr breit. Breiter als im klinischen Sinne. Das was als Mechanismus dahinter steht ist allerdings das Gleiche: Die Abspaltung von Sinneseindrücken und Emotionen vom Bewusstsein, mit derer unaushaltbare Situationen erträglich werden. Das Spektrum dessen, wie sich so etwas zeigt ist groß: Das beginnt bei dem Gefühl, in Schocksituationen, neben sich zu stehen, sich selbst von außen zu sehen, als ob es jemand anderem geschieht, geht über die innere Flucht in Phantasiewelten, hin dazu Gefühle nicht mehr zuzulassen, den Körper nicht mehr wahrzunehmen, Begebenheiten oder Episoden des Lebens zu vergessen und in krassen Fällen bis hin dazu, dass einzelne Bereiche der Psyche nicht mehr, oder nur schwach miteinander vernetzt sind (sowas kennst du in milder Form, wenn du in einen intensiven emotionalen Zustand kommst und dich kurz darauf verständnislos fragst, was eigentlich gerade mit dir los war). Die heftigsten Ausläufer sind im ICD 11 unter den Dissoziativen Störungen aufgeführt.

Im Optimalfall tritt Dissoziation als temporärer Zustand in belastenden Situationen auf und löst nach einiger Zeit wieder auf. Wenn wir sind wieder sicher sind und in der Lage das Geschehene zu verarbeiten. Die Ereignisse und Gefühle, die bis dahin dissoziiert werden mussten, werden uns wieder bewusst, wir ziehen unsere Schlüsse daraus, die Emotionen bekommen die Möglichkeit, gefühlt zu werden und damit geht das Ereignis in die Vergangenheit und verliert seine Macht über uns.

Was aber, wenn das nicht geschieht? Wenn Situationen zu heftig sind, zu lange andauern, oder die Umgebung nicht hilfreich ist, um das Geschehene zu verarbeiten. Was, wenn der/ die Täter weiter in unserer Nähe sind, unsere Bezugspersonen emotional nicht schwingungsfähig sind, es nicht sicher ist und wir alleine damit klarkommen müssen?

Dissoziation als Dauerzustand

Dann bleibt unser Hirn in einem Notfallmodus und die Einzelteile unseres Erlebens werden abgespalten von unserem Bewusstsein (dissoziiert) gespeichert. Dieser Satz ist gaaaaaanz wichtig! Abgespalten vom Bewusstsein! Das heißt, wir haben eben keinen bewussten Bezug zu diesen abgespeicherten Teilen unseres Erlebens.
Das ist der Grund, weshalb so viele Menschen, die die schrecklichsten Dinge erlebt haben sagen – das war gar nicht so schlimm. Das ist der Grund, weshalb Menschen, die Angst und Panikstörungen haben, meist keine Ahnung haben, welche Erfahrungen dahinterstecken. Das ist der Grund, weshalb so viele Menschen keinen Zusammenhang sehen, zwischen ihrem gegenwärtigen Leid und den Dingen, die sie in ihrem Leben erlebt haben. Wie auch – es liegt in der Natur der Sache! Der Hintergrund ist dissoziiert und das Einzige was Menschen erleben, ist, dass irgendwas nicht stimmt und sie sich keinen Reim darauf machen können.

Was genau ist es denn, was da vom Bewusstsein abgespalten gespeichert wird?
Nun… Es können alle Ebenen unseres Erlebens sein. Emotionen, Verhalten, Kognitionen (was man so denkt), Beziehungserfahrungen, Sinneseindrücke, Körperempfindungen. Die schwirren un- oder teilverarbeitet in unserem Organismus umher. Nicht integriert, nicht zum Bewusstsein gehörig.

Was dissoziiert ist, ist triggerbar

Und nun der relevante Punkt: solche unverarbeiteten Eindrücke sind triggerbar. Wann immer ein Reiz auf uns wirkt, der an die vergangene Erfahrung erinnert, geht es los. Dann erleben wir die Gegenwart aus der Brille der Vergangenheit und fühlen uns wieder wie damals. Wir denken die gleichen Dinge über uns, verhalten uns wie in der Situation oder Phase von damals, erleben unsere Gegenüber mit den gleichen Beziehungserfahrungen und unser Körper reagiert so wie damals. Alles ist in so einem Moment wie damals – außer unser Bewusstsein, was denkt, dass es im Hier und Jetzt ist. Was für ein Irrtum.

Wie die Vergangenheit die Gegenwart färbt

Ein Junge hat einen Vater, der ihn, wann immer er eine andere Meinung hat zur Sau macht. Er schimpft, schreit und in Extremfällen schlägt er seinen Sohn auch.
Was erlebt der Sohn in so einem Moment? Emotional wahrscheinlich Angst, Demütigung, Scham und vielleicht auch Wut, er denkt über sich selbst, dass er nicht gut genug ist, dass er eine Enttäuschung ist und seine Meinung nichts wert. Sein Körper zittert, sein Kiefer ist angespannt und er kämpft mit den Tränen. In Bezug auf seinen Vater erlebt er, dass er seine Anerkennung möchte, dieser ihm aber nicht wohlgesonnen ist und seine Macht rücksichtslosausspielt.

Zeitraffer: Der gleiche Junge, 30 Jahre später. Eine Situation mit dem Chef, ein älterer Mann, der in Bezug auf ein Projekt lautstark kundtut, dass er eine andere Meinung hat, als unser mittlerweile erwachsener Junge. Ein Trigger. Ein älterer Mann, dem er weisungsbefugt ist. Auch er wird laut und lässt keine andere Meinung gelten.

Was geschieht? Na klar. Trigger tut, was Trigger tut. Unser erwachsener Mann wird wieder zum kleinen Jungen. Er fühlt sich (und jetzt folgen alle Symptome von oben): gedemütigt, zittert, ist wütend, denkt er sei nicht gut genug, eine Enttäuschung, dass seine Meinung nichts zählt und fühlt sich durch die Macht, die sein Gegenüber rücksichtslos ausspielt ohnmächtig und hilflos.

Dass er sich immer wieder in Arbeitsverhältnisse mit solchen Charakteren begibt und insgeheim hofft, dass er hier die Anerkennung findet, die er von seinem Vater nicht bekam ist ihm genau so wenig bewusst, wie der Zusammenhang, den wir hier von außen so eindeutig sehen (für mehr Infos zu unbewussten Reinszenierungen schau dir gern den Artikel über Paardynamiken an. Das gilt nämlich auch für alle anderen Beziehungen 😉).

Ein anderes Beispiel, ein bisschen komplexer und subtiler, von den Auswirkungen jedoch viel weitreichender:

Ein Kind kommt auf die Welt – Frida (ja… natürlich gibt es Frida gar nicht, aber mit einem Namen wird es einfach plastischer). Die Mutter ist Anfang 20, der Vater war eine Partybekanntschaft und möchte nichts mit dem Kind zu tun haben. Die Mutter ist überfordert, arbeitet viel um das Geld zu verdienen (der Vater zahlt keinen Unterhalt) und Frida muss früh selbst zurechtkommen. Bis hierhin können wir vermuten, dass sie in ihrem Alltag oft Gefühle von Einsamkeit erlebt. Sie erlebt außerdem in Bezug auf die Mutter, dass sie ihre Bedürfnisse zum Wohle der Mutter zurückstellen muss – es gibt keinen Platz für mich und was ich möchte. In Bezug auf den Vater erlebt sie, dass sie nicht gewollt ist. So ergibt sich ein Gesamtempfinden von „ich bin hier nicht richtig, ich bin nicht gewollt, meine Bedürfnisse haben keinen Platz und würden alles nur schwerer machen – es wäre besser, wenn es mich nicht gäbe, ich bin sowieso nur eine Belastung“. Körperlich spiegelt sich das durch eine zurückgenommene Haltung, nach vorne gezogene Schultern und kleine, vorsichtige Bewegungen wider. Nur nicht zu viel Raum einnehmen.

Blöderweise lernt die Mutter einen Mann kennen, mit dem sie dann noch 2 Kinder bekommt. Dieser akzeptiert Frida leider nicht, sondern gibt ihr immer wieder subtil und nicht so subtil zu verstehen, dass er sie als überflüssiges Artefakt eines alten Konkurrenten seiner Freundin sieht. Seine eigenen Kinder trägt er auf Händen.

Ohje… Ich denke wir alle können uns vorstellen, was das in Frida auslöst. Zumal sie zusätzlich noch die Erfahrung macht, dass ihre Mutter sie nicht schützt und die Beziehung zu ihrem neuen Freund höherstellt als die Beziehung zu ihr.

Wie soll ein Kind mit so etwas umgehen? Es hat keine andere Chance, als diese Eindrücke und Empfindungen vom Bewusstsein fernzuhalten. Als Erwachsene sagt Frida: „An meine Kindheit kann ich mich so gut wie gar nicht erinnern.“ Das ist typisch bei Menschen mit belasteten Biografien. Und ein typisches Zeichen von Dissoziation.

Frida entwickelt im frühen Erwachsenenalter eine depressive Symptomatik. Diese erlebt sie als großes Gefühl von Einsamkeit und Isolation. Sie erlebt ihr Leben als sinnlos und wenn sie andere Menschen sieht, denen es gut geht und die Freude und Spaß haben, wird sie eifersüchtig und denkt „Na klar, für alle gibt es was Schönes, nur für mich nicht“. Ihre eigenen Impulse und Bedürfnisse kann sie nicht wahrnehmen, da diese selbst zum Trigger geworden sind für die Erfahrung „Für mich gibt es keinen Platz hier. Meine bloße Anwesenheit ist eine Belastung“. Ihre Körperhaltung gleicht immer noch der, die sie als Kind hatte.

Bei Frida ist es nicht möglich ihre Problematik auf ein Ereignis und einen einzelnen Trigger zu reduzieren. Es ist viel komplexer. Ihre eigenen Bedürfnisse werden zu Triggern, die ihre Empfindungen aus der Kindheit aktivieren. Glückliche Menschen werden zu triggern für die Erfahrung mit ihren Halbgeschwistern. Und Fridas bloßes Dasein wird zum Trigger für die Erfahrung „es sollte mich nicht geben“. Frida bleibt nichts anderes übrig, als diese Empfindungen weiter aus ihrem Bewusstsein fernzuhalten. Was bleibt ist ein Mensch, die nicht weiß, wer sie ist, was sie will und die in einem Dauerstresszustand gefangen ist.

Was bedeutet das für unser Leben?

Wir können festhalten, dass unverarbeitete Erlebnisse dafür sorgen, dass wir, wenn diese Erlebnisse unbewusst durch einen Trigger aktiviert werden, in die Vergangenheit katapultiert werden. Ein falscher Satz von unserem Schatz und Zack – Vergangenheit. Und die Gefühle und Verhaltensweisen entsprechen einem Fünfjährigen. Wer kennt es nicht. Dass wir, wenn wir in so einem Vergangenheitsinduzierten Zustand drin sind auch alle folgenden Informationen durch die Brille des damaligen Zustands betrachten macht es nicht einfacher.

Es kann aber auch, wie im Falle von Frida, viel subtiler ablaufen und das Leben insgesamt bestimmen und einschränken.

Man könnte mit dieser Sichtweise also sagen, der Ursprung des Leidens ist das unbewusste „wieder in die Vergangenheit geworfen werden“. Denn wären wir ganz in der Gegenwart, und in Vollbesitz unserer Kompetenzen, als erwachsene Person, könnten wir uns ja auch genau so verhalten, oder?
Wir würden nicht prokrastinieren, nicht zu viel arbeiten, aber auch nicht den Tag mit Netflix verbringen. Wir wären in der Lage unseren Mitmenschen empathisch, liebevoll und dennoch klar und bestimmt zu begegnen, könnten angemessene Grenzen ziehen, würden die Dinge verändern, die uns stören statt darüber empört zu sein, dass sie sind, wie sie sind, hätten sowohl guten Zugang zu den schönen Gefühlen des Lebens, als auch zu den weniger schönen, könnten aber mit diesen gut umgehen usw.

Solltest du all das bereits tun – herzlichen Glückwunsch! Entweder du tendierst in Richtung erleuchtetes Superwesen, oder … naja…  frag mal dein Umfeld, ob sie dich auch so wahrnehmen.
Für all die anderen unter uns – herzlichen Glückwunsch – du bist ein Mensch.

An dieser Stelle: Bis jetzt könnte man denken, ich würde das „in die Vergangenheit geworfen werden“ als den einzigen Hintergrund von Leid sehen. Das ist natürlich quatsch. Es gibt genügend Leid, was sich ganz konkret in der Gegenwart abspielt. Bei unmittelbar erlebter Gewalt, Katastrophen, Tod und ähnlichen Dingen sind die Problematiken natürlich im Hier und Jetzt. Zudem gibt es Schwellensituationen und Übergänge im Leben, die ihre Herausforderungen mit sich bringen, einfach dadurch, dass wir zuvor noch nie in solchen Situationen waren. Und dennoch bringen genau solche Situationen natürlich auch erhebliches „In-Die Vergangenheit-Katapultier-Potential“ mit sich. Und so gesellt sich oft genug zur „realen“ Herausforderung noch der existentielle Schmerz von Erlebnissen der Vergangenheit.

Das heißt: wenn wir Probleme erleben, die uns sehr einnehmen, können wir fast sicher sein, dass wir eine Brille aufhaben, die wir nicht sehen. Eine Erfahrung aus der Vergangenheit, die sich unbewusst über das legt, was jetzt und hier gerade da ist. Und das ist eigentlich das, was die Gegenbewegung zu einem getriggerten Zustand ist.

Es geht um das Hier und Jetzt

Im Hier und Jetzt ist es für den absoluten Großteil von uns sicher. Wir haben etwas zu essen, es ist warm, wir werden im Fall der Fälle durch den Sozialstaat vor der Obdachlosigkeit bewahrt. Das Rechtssystem funktioniert ziemlich gut usw.
Im Hier und jetzt ist alles gut. Kein Grund zur Sorge. Schau dich jetzt einmal um. Dort wo du gerade bist. Jetzt, in diesem Moment ist für alles gesorgt.
Die Sorgen, der Stress, die Überforderung, Hilflosigkeit oder was auch immer es bei dir ist … Ihr Ursprung liegt nicht in der Gegenwart. Nicht in dem was du jetzt gerade erlebst (Ausnahmen ausgenommen).
Die Ursache für dein Leid wirst du hier nicht finden. Im Hier und Jetzt kannst du zu jedem Zeitpunkt neu entscheiden, wie du dein Leben gestaltest. Jetzt. Und jetzt. Und schon wieder.

Das was uns leiden lässt ist die Bedeutung, die wir den Dingen in der Gegenwart geben. Und wie das zustande kommt haben wir recht ausführlich oben erörtert.

Al Pesso sagt sinngemäß (ich kann das Zitat nicht finden): Wir erleben die Gegenwart immer durch die Brille unserer Geschichte.
Was auch immer wir in der Gegenwart erleben ist eingefärbt durch das Leben was wir bereits gelebt haben.

Und jetzt? Ein Plädoyer für Psychotherapie!

Und was machen wir nun damit? Wir können uns dieser Herausforderung von zwei Seiten nähern: Von der Gegenwart und von der Vergangenheit. Und für beide gibt es Methoden.
Wir können unsere Fähigkeit die Gegenwart wahrzunehmen stärken. Sämtliche Ansätze, die mit Achtsamkeit arbeiten, funktionieren genauso. Hier wird immer wieder aufs Hier und Jetzt fokussiert und auf diese Weise kann die Gegenwart als frei und sicher wahrgenommen werden.

Einen anderen Ansatz nutzt die Traumatherapie. Hier geht es darum, herauszufinden, welche Teile von dem was wir im Hier und Jetzt an leidvollem erleben, ihren Ursprung in welchen Umständen unserer Vergangenheit haben.
Mach dir an dieser Stelle nochmal bewusst, dass Dissoziation, als Überlebensmechanismus unseres Körpers, zwar einerseits die Dinge emotional aushalten lässt, andererseits aber die Integration verhindert.

Aufarbeiten unserer Vergangenheit bedeutet dann die Dissoziation Stück für Stück, in kleinen, gut integrierbaren Portionen, aufzuheben. So dass wir wieder in Kontakt kommen mit all dem was uns damals geschehen ist, ABER aus einem Gefühl der Sicherheit heraus. So löst sich einerseits der Schleier der Dissoziation und andererseits können dann, unter Beisein des Bewusstseins, die Gefühle gefühlt, das ganze verstanden und eingeordnet werden. Das Hier und Jetzt wird dann nicht mehr von diesem Ereignis überlagert und wir können das, was in der Gegenwart ist, ohne den Schleier der Vergangenheit sehen.

Wow! Wie cool ist das denn! Und dafür hat die Psychotherapie sich mittlerweile eine Menge einfallen lassen: EMDR, Ego-State Arbeit, Pesso-Therapie, Voice Dialogue, Somatic Experiencing – um mal nur die zu nennen, die ich in meiner Praxis nutze.

Das Ganze ist Arbeit, und geht nicht von heute auf morgen. Aber der Effekt ist, dass wir die Ressourcen, die in unserer direkten Umgebung, in der Gegenwart sind, wieder wahrnehmen können UND die Ressourcen, die aufgrund unserer Prägungen verschütt gegangen sind wieder zu Verfügung haben, zusätzlich zu denen, die wir ausgeprägt haben um mit den Umständen von damals fertig zu werden. Das könnte man dann wirklich posttraumatisches Wachstum nennen.

Und dann geschieht ein paradoxer Effekt: Je mehr der Schleier der Vergangenheit sich löst, desto mehr sind wir im Hier und Jetzt. Man muss die Vergangenheit an sich heranlassen, sich mit ihr beschäftigen, Sinn aus ihr generieren, sie in die eigene Identität integrieren, sich wieder zu eigen machen, um dann den Blick frei für die Zukunft zu haben und mehr zu dem zu werden, der man eigentlich schon immer war.

Wenn du dich für diesen Weg entscheidest, begleite ich dich sehr gerne dabei. Schreib mir gern, wenn du Fragen hast oder einen Termin vereinbaren möchtest.

 

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