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Die Pesso-Therapie – ein Ansatz bei transgenerationalem Trauma

Die Pesso-Therapie wurde von Al und Diane Pesso entwickelt. Die beiden waren Tänzer*innen und begannen den Körper zu nutzen um therapeutische Prozesse zu initiieren. Schnell kamen sie an unbewusstes Material, das seinen Ursprung in der Kindheit hatte.
Den beiden schlossen sich weitere Psychotherapeut*innen an, welche ihre tiefenpsychologischen Hintergründe mit einbrachten und gemeinsam wurde eine neues Verständnis für den Zusammenhang von Psyche und Körper entwickelt.
So ist die Pesso-Therapie einerseits sehr körperorientiert und andererseits steckt sie voller spannender und wirklich bereichernder Konzepte, die ich so noch nirgendwo anders beschrieben gesehen habe. Dazu gehören so coole Namen wie: Holes in Roles, Omnipotenz, Entität, Limitierung und noch viele mehr. Zu einigen werde ich sicherlich in der kommenden Zeit noch etwas schreiben.

In ihrer Arbeit, die zu Beginn rein über den Körper ging und ideale Eltern-Kind-Beziehungen nachstellte, fanden sie heraus, dass einige Klienten bei der Vorstellung einer z.B. einer idealen Vater-Sohn-Interaktion aussteigen. Auf die Frage, was die Vorstellung eines idealen Vaters unglaubwürdig macht, sagte ein Klient zum Beispiel: „Ich bekomme einfach immer wieder das Bild von dem Vater den ich hatte. Und der war kalt und unnahbar.“
Die Datei einer liebevollen, nahbaren Vaterfigur ist wie „nicht angelegt“ und dementsprechend auch nicht in der Therapie abrufbar.
Vor diesem Hintergrund ist es sehr nachvollziehbar, dass die entsprechende Interaktion nicht stimmig ist. Spannend wird es bei der Frage, welche biografischen Hintergründe den Vater so haben werden lassen.

Eine transgenerationale Sichtweise

Und so kommt nun zum Beispiel folgende Familiengeschichte zum Ausdruck:
Dem Opa wurde nach dem zweiten Weltkrieg in russischer Gefangenschaft übel mitgespielt. Die Oma wusste nicht, ob oder wann er wiederkam und rechnete über Jahre mit dem Schlimmsten. Als er wiederkam, war er ein gebrochener Mann, der viel trank um mit seinen Gefühlen zurecht zu kommen. Wenn er betrunken war schlug er seine Frau und die Kinder, um es am nächsten Morgen zu bereuen und sich in Selbstmitleid zu ergehen. Die Oma hielt es um der Familie willen aus und litt still. Die Kinder, unter ihnen auch der Vater unseres imaginierten Klienten, wussten nie, ob ihr Vater nüchtern und „normal“ oder betrunken und aggressiv nach Hause kam und fühlten sich nie sicher. Der Vater beschloss es dann als Vater besser zu machen und schwor sich seine eigenen Kinder nie zu schlagen. Was er glücklicherweise auch nie tat.

Leider wirkte er als Vater jedoch sehr unnahbar und hart. Er selbst konnte mit seinen Emotionen nicht umgehen und erst recht nicht mit dem Nähe- und Liebesbedürfnis seines Sohnes.
Und so kam es, dass unser imaginativer Klient als Kind von seiner Vaterseite nie die Liebe und Zuneigung bekommen hat, die er sich wünschte und stattdessen einen harten und unnahbaren Vater hatte, bei dem er nie das Gefühl hatte, dass er Interesse an ihm als Sohn hat. Als Symptom äußerte sich das Ganze unter anderem darin, dass er ein großes Bedürfnis nach Anerkennung von Autoritätsfiguren hat, seine eigene Bedürftigkeit verurteilt, nicht gut Hilfe annehmen kann und noch einige andere Sachen.

Heilende Gegenbilder entwickeln und durch die Generationen fließen lassen

In der Pesso-Therapie wird nun mit heilenden „idealen“ Gegenbildern gearbeitet.
Wie wäre die Geschichte verlaufen, wenn der Opa in einem Land ohne Nazidiktatur und ohne Krieg, bei liebevollen Eltern aufgewachsen wäre und nicht mit 17 Jahren eingezogen worden wäre?
Er hätte eine Kindheit und Jugend erlebt, in der er hätte Kind sein können. Statt Bomben und Gewalt hätte er spielen können und seine Kindheit und Jugend genießen. Er hätte seine Schule beenden können, eine Ausbildung machen oder studieren können. Er hätte all die grausamen Dinge nicht erlebt und hätte ein heiler Mensch bleiben können, der mit sich im Reinen ist, seine Partnerin liebt und für seine Kinder da ist und sie umsorgt.
Wie wäre es dem Vater des Klienten als Kind dann ergangen?
Auch er hätte sich geliebt und sicher fühlen können. Er hätte seine weichen und kindlichen Seiten nicht abspalten müssen und hätte dann, als Vater, auch seinen Sohn mit seinen weichen und bedürftigen Seiten lieben und annehmen können.

Verschüttete Ressourcen werden zugänglich

Klar, das ist hier jetzt sehr vereinfacht und simplifiziert dargestellt. Und vielleicht kommt es hier im Text ein bisschen als kognitive Spielerei rüber. In der Praxis sind das in der Regel sehr emotionale Prozesse. Das heißt, es ist nicht einfach ein kognitives Szenario à la „was wäre, wenn“, sondern hier geschieht eine emotionale Neubewertung der Familienhistorie, die auch ein neues Selbstverständnis zur Folge haben kann.
Das was ich hier sehr simpel dargestellt habe findet in der Praxis deutlich differenzierter statt und falls du dich fragst, was dieses Bild mit den Muscheln da oben soll – ich nutze diese dazu, um die idealen Bilder zu illustieren.
Auch wenn es hier jetzt sehr vereinfacht dargestellt wurde, hoffe ich, dass das Grundprinzip klar geworden ist.
Und wenn unser imaginierter Klient diesen Prozess nun innerlich nachvollzogen hat, hat er nun ein stimmiges, ressourcereiches, liebevolles Vaterbild, welches therapeutisch genutzt werden kann. Und so ist es dann möglich, dass die Seite unseres Klienten, die sich die Liebe und Fürsorge durch den realen Vater damals so sehr gewünscht hat (aber leider enttäuscht wurde), nun endlich eine Idee davon bekommt, wie es gewesen wäre einen ressourcevollen und liebenden Vater zu haben. Hier kann diese Seite unseres Klienten ein Stück Heilung erfahren.

Mit klarem Blick auf Gegenwart und Zukunft

Ich habe den Eindruck, dass unsere gegenwärtige westliche Kultur wenig Blick für den Einfluss unserer Vergangenheit auf uns hat. Auch die typischen Coachingansätze, als Spiegelbild dieser Kultur, sind oft zukunftsorientiert und der Blick in die Vergangeneheit fast schon verpönt. Schade eigentlich!
Je länger ich mich mit therapeutischen Prozessen und im speziellen auch mit Pesso-Therapie beschäftige, desto mehr wird mir bewusst, wie sehr wir tatsächlich geprägt sind von unserer Historie, der unserer Ahnen und der Kultur, der wir angehören und wie wichtig es ist, sich diese wieder zu eigen zu machen.
Paradoxer Weise löst sich genau dadurch die der Blick auf die Zukunft von der Vergangenheit.
Durch die Arbeit mit Pesso-Therapie und den „idealen“ Gegenbildern entstehen ressourcereiche Neuerzählungen über uns und unsere Familiengeschichte, welche es uns ermöglicht (mindestens in Bezug auf einen Teilaspekt), die Brille der Vergangenheit abzunehmen und die Gegenwart und Zukunft mit einem neuen, klareren Blick zu sehen.

Wenn du mehr zur Pesso-Therapie wissen möchtest oder sie einmal erfahren willst, setz dich gern mit mir in Verbindung!

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